Lineage

1998 VHS 18 Min

Erika Mijlin

The Whole History of That

1998 16mm 17 Min

Jenny Perlin

Happy Are The Happy

1999 16mm 17 Min

Sarah Jane Lapp, Jenny Perlin

Von Daniel Eisenberg

Werden wir jemals der verrückten Vorstellung zustimmen können, dass es der Ort sei, der die Art und das Aussehen einer Arbeitsweise bestimmt, oder dass der Einfluß einer Stadt sich in der Ästhetik und den Gegenständen des Schaffens der in dieser Stadt lebenden Künstler niederschlägt? Wir sollten froh sein, das niemals zu erfahren. Wie dem auch sei, der Einfluss von Bezugsgruppen darauf, wie wir die Welt um uns herum verstehen, was wir sehen und worüber wir sprechen, ist nicht zu leugnen. Allerdings, die Nachbarschaft unterliegt beständigem Wandel. Es ist absurd anzunehmen, ein Stadtstaat von der Größe Chicagos würde lediglich von der unmittelbaren Umgebung geprägt. Eingebettet in das mediale fin-de-siècle Environment reagieren wir auf Ereignisse in der South Side von Chicago ebenso wie auf Themen, die in New York, Los Angeles, Berlin, São Paulo, Johannesburg, Manila oder London diskutiert werden.

Wir leben in einer internationalen Stadt. In unserer riesigen postindustriellen Stadtlandschaft mit ihren über die Jahrtausendwende hinausreichenden Problemen werden wir mit Verdrängungen, Enttäuschungen, Träumen und Wünschen von Menschen von überallher konfrontiert, die inmitten eines Amerika, das seine Mitte verloren hat, heimisch werden wollen. Was macht Chicago so besonders? Zum einen ist es seine Geschichte. Diese erst 150 Jahre alte Stadt zieht all diejenigen an, die es nicht an die Küste zieht, die sich im Flachland wohler fühlen als an der See oder in den Bergen. Chicago wird die "Stadt mit den breiten Schultern" genannt, ihr Motto lautet, "Die Stadt, die arbeitet". Ihre Geschichte ist Teil der Arbeitskämpfe dieses Jahrhunderts, der Bürgerrechtsbewegung, der Studentenrevolte der 60er Jahre und der schwerfälligen Politikmaschine der Demokratischen Partei. Ihre Wirkung ist täglich zu spüren von Buffalo im Staat NewYork bis Denver in Colorado, von Minneapolis in Minnesota bis Houston in Texas. Chicagos Schlachthäuser, Stahlwerke, Eisenbahnanlagen, Wolkenkratzer, Kanäle und Ufer haben die afrikanischen Amerikaner aus dem Mississippidelta, die Deutschen, Polen, Schweden, Serben, Bosniaken, Kroaten, Tschechen und Slowaken aus Europa, die Koreaner, Inder, Pakistani, Thais und Vietnamesen aus Asien angezogen.

Und die hier vorgestellten Film- und Videokünstler kommen ebenfalls aus allen Teilen der Vereinigten Staaten. Und gerade weil sich Amerika über Mobilität definiert, ist ihre Bindung an lokale Gemeinschaften weniger stark ausgeprägt als man das in Europa oder Asien findet. Wer kann schon wissen, wieviele noch in einem Jahr hier wohnen werden? Wie in New York, San Francisco, Los Angeles und Boston müssen junge Künstler dorthin gehen wo die Musik spielt und wo Geld zu verdienen ist. Im Moment ist Chicago attraktiv. Hier wird viel interessante Arbeit geleistet. Das Film Center, Facets Multimedia, das Chicago Underground Filmfestival, die Chicago Filmmakers, The School of the Art Institute of Chicago, die Video Databank, das Columbia College, Doc Films an der University of Chicago und die mehr als 14 verschiedenen Film- und Videofestivals sind die Institutionen, die die jungen Medienkünstler nach Chicago locken. Eine große Zahl etablierter Künstler hat sich in Chicago niedergelassen und viele jüngere Künstler bleiben in der Stadt. Wie schon einmal in den 70er Jahren entwickelt sich Chicago wieder zu einem bedeutenden Platz für diejenigen, die Amerikas Medienkunst vorantreiben.

Obwohl Chicago als Stadt in einigen dieser Arbeiten auftaucht, ist es etwas anderes, was diese Arbeiten kennzeichnet - es ist die Gemeinschaftlichkeit unter den Machern selbst. Sie beteiligen sich wechselseitig an ihren unterschiedlichen Projekten, sie stellen ihre Ideen über das Filmemachen anderen zur Verfügung. In diesem Sinne nähern sie sich mehr oder weniger einer idealen Gemeinschaft an. Einer Gemeinschaft, die Differenzen der Ästhetik, der Sujets und der Form respektiert und darüber hinaus zum Risiko und der Redefinition von Genres ermuntert. Das Experimentieren steht im Mittelpunkt und die Ergebnisse sind alles andere als von Vorbildern abgeleitet. Diese Arbeiten sind frisch, originell und stilbildend. So wie überall bei jungen Künstlern ist der Impuls zu Ausdruck und Identität unverkennbar. Aber deutlicher als anderswo vertrauen diese Künstler auf die Kraft der bewegten Bilder und stellen sich ganz in den Dienst der Verfeinerung ihrer eigenen Fähigkeiten. Diese Werke markieren den Stand der künstlerischen Auseinandersetzung, von der Punk/Beat Ästhetik in Jennifer Reeders "White Trash Girl" zu den virtuellen cooputergenerierten Welten des Joshua Mosley. Von der Analyse privater Dokumente in Erica Mijlins "Lineage" zu Jenny Perlins postmoderner Rückkehr in das Europa ihrer Vorfahren. Alle diese Film- und Videomacher untersuchen und entdecken, wie den Bildern Kraft verliehen werden kann und legen damit die Genremechanik bloß, an die wir uns alle gewöhnt haben.

Vermutlich prägnanter als anderswo, begreifen die Film- und Videomacher aus Chicago ihre künstlerische Verpflichtung als eine Herausforderung - eine Herausforderung an die Konventionen des Machens und Betrachtens, der Form und des Sujets. Sogar die Figur des "unabhängigen Medienkünstlers" wird in Frage gestellt, versuchen diese Künstler doch die Idee des einsamen egozentrischen Künstlers zu überwinden, indem sie sich selbst und ihre kreativen Energien einander zur Verfügung stellen. Dies ist möglicherweise die radikalste Geste dieser Generation Chicagoer Künstler ...

Kurator: Daniel Eisenberg, Associate Professor of Filmmaking, School of the Art Institute of Chicago